Donnerstag, 26. Mai 2011
Nr. 3 Mister Cowboy
Sie tanzt in einem Club, inmitten von hübsch zurecht gemachten Mädchen und stylishen Jungs. Sie selbst trägt ihr Samstag-Nachmittag-Kaffeetrink-Outfit – mit Fassung. Ihre Jeans, die Turnschuhe und das olle Shirt. Auf den Spontan-Ausflug in einen Club war sie nicht vorbereitet, aber was sind schon Äußerlichkeiten, denkt sie, als sie ein Blick trifft. Ein zweiter Blick. Und ein dritter. Nein, er starrt sie an, der Typ, der sich langsam und unbemerkt in ihre Richtung getanzt hat. Sie schließt die Augen, sicher holt er gleich sein Lasso raus, zielt in ihre Richtung und fängt sie ein – mit dem Vorhaben, sie abzuschleppen. Denkt sie noch – doch nichts, nichts passiert. Sie öffnet die Augen und dieser Möchtegern-Cowboy steht wie angewurzelt vor ihr und starrt sie an. „Hey, ich wollte dir nur sagen, ich beiße niemanden, der mich anspricht, das geht schon in Ordnung!“ hört sie sich selbst zu ihm sagen und ist wieder einmal von ihrer Spontaneität überrumpelt. Völlig perplex lässt der Cowboy Lilly einfach stehen und geht erst mal ein Bier holen. Lilly schmunzelt in sich hinein, tanzt weiter. Ob er noch mal wieder kommt oder sucht er jetzt völlig eingeschüchtert lieber das Weite? Sie hat es satt – verpasste Chancen kennt sie zur Genüge und nimmt ihr Schicksal gerne selbst in die Hand. Er kommt zurück, reicht ihr ein Bier und Lilly hält es vor ihrem Herzen.
Sie sitzen stundenlang über den Dächern der Stadt, reden, rauchen und alles um sie herum scheint einfach weiter zu rennen, irgendeinem Ziel hinterher, nur die beiden sitzen da, schauen sich an und gehen als die Sonne aufgeht, Schnitzel essen.
„Ich bin der Cowboy in der freien Wildbahn – lass mich nicht gerne mit dem Lasso einfangen“ hört Lilly ihn sagen, während er sich ein weiteres Stück Schnitzel in den Mund schiebt. Und Lilly schießt das Lied „Ich will nen Cowboy als Mann“ durch den Kopf. Sie grinst – kramt in ihrem Portemonnaie nach ihrem Geld, legt es auf den Tisch und verabschiedet sich. „Ich glaube, ich bin in meinem Leben schon zu vielen Cowboys begegnet – schade eigentlich – aber ich weiß, dass ich keine Kraft mehr habe, noch einem nachzurennen, nur weil er mit seinem Lasso immer wieder nach der großen Beute sucht!“ Dem Cowboy bleibt beinahe sein Stück Schnitzel im Hals stecken – verwirrt bleibt er zurück. Er ruft nach der Bedienung, zahlt die Rechnung und geht enttäuscht, in den Sonnenaufgang.

Mehr: Zigarettenroman.de oder auf facebook „Miss Milch“

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Donnerstag, 12. Mai 2011
Nr. 2 Rocker und romantische Gefühle
„Du bist cool und Du wirst, egal, was Du machst, immer cool sein. Verdammt cool sogar!“ höre ich ihn sagen und schaue ihn von der Seite an, atme tief durch und nehme einen Schluck aus meiner Bierflasche. Der Schmetterling, der sich gerade verflogen hat, den fange ich mit dem Schluck Bier wieder ein und besänftige ihn ein bisschen.

Wir sitzen am Hafen, blicken auf die Schiffe – während hinter uns die Sonne untergeht. Er nimmt meine Hand, schaut weiter auf das Wasser: „Lilly, verdammt, das hier grade ähnelt einem fiesen Kitsch-Film, der ist viel zu romantisch, für so nen knorken Typen wie mich, aber irgendwie fühlt es sich großartig an!“ Verlegen rücke ich meinen Pferdeschwanz zurecht. Irgendwie scheint uns die Coolness abhanden gekommen zu sein – früher hab ich in solchen Momenten immer gedacht „Dat ist 1A zu viel Gefühlsduselei, lass mich mit dem Gedöns in Ruhe, mit der Masche kriegst du mich nicht rum!“ und hätte ihn einfach stehen lassen.

Die Zeit rast an uns vorbei, mir ist völlig wurst, ob der beerenrote Lippenstift noch sitzt oder die Frisur liegt, ich weiß eins: Ich bin mitten in diesem Gefühlsdilemma und verdammt noch mal, das fühlt sich gut an. Jeder Fernsehzuschauer, der auch nur ein bisschen Rock`n´Roll im Herzen trägt, wäre beim Anblick des tätowierten Rockers und dem Rockabilly-Mädchen hängen geblieben, doch statt wie erwartet, einen coolen, abgeklärten Liebesfilm geliefert zu bekommen, hätte er spätestens nach zwei Sequenzen, aufgrund des hohen Kitsch-Potentials umgeschaltet.

Wir bleiben sitzen, schauen auf die Elbe, verbannen die Coolness aus dem Moment und lassen uns überraschen – mal sehen, ob der Drehbuchschreiber für unsere Folge ein Happy End vorgesehen hat.

*** Kommentare sind unter zigarettenroman.de und dem dort verlinkten Blog sehr willkommen ***

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Mittwoch, 20. April 2011
Nr. 1 Das Rollermädchen
Er beugt sich noch einmal zu dem Mädchen, nimmt sie in den Arm, küsst sie auf die Wange, dreht sich um und geht. Das Rollermädchen steht vor ihrem Roller. Hält sich an ihrem Helm fest. Sie hat das Gefühl, sie kippt sonst um. Er geht. Er geht – ohne sich noch einmal umzublicken. Und ein Stück ihres Herzens weiß noch nicht, wohin es gehört. Das Rollermädchen setzt sich auf ihre Vespa, tritt sie an und knattert langsam davon. Wie in Trance fährt sie nach Hause. Sie weiß nur eins, er nimmt den Nachtzug nach Zürich. Zurück in seine Heimat, weil das Heimweh ihn fast auffrisst. Er kann nicht länger bleiben.
Das Rollermädchen packt ein paar Sachen zusammen, sucht die Verbindung heraus und steht am Bahnsteig, als der Zug einfährt.
Als sie die Türe zum ersten Abteil öffnet, hält sie die Luft an. Nichts! Abteil zwei, da ist er auch nicht. Im dritten Abteil hat sie Erfolg. Unglücklich sieht er aus. Sie öffnet die Abteiltüre – er blickt sich nicht um, starrt weiter bewegungslos aus dem Fenster. Das Rollermädchen atmet tief ein, ihr Mut treibt sie an, sich neben ihn zu setzen. Keine Reaktion. Das Rollermädchen fasst sich ein Herz, kramt nach ihren Zigaretten, hält ihm das Päckchen unter die Nase: „Wenn Du möchtest, rauchen wir im nächsten Bahnhof noch eine Zigarette. Wenn nicht, dann geh ich und du wirst mich nie wieder sehen“. Er löst sich irritiert aus seiner Versteinerung. Dem Mädchen rutscht beinahe das Herz in die Hose. Sie hält die Luft an – vor Anspannung und Aufregung.
Erst blickt er auf die Zigaretten, dann in das Gesicht des Rollermädchens. Die Überraschung ist kaum zu übersehen – am liebsten hätte sich das Rollermädchen sofort aus dem Staub gemacht. Die Sekunden, bis er sie endlich in den Arm nimmt, vergehen wie Stunden. Mit seinem unwiderstehlichen Schweizer-Akzent flüstert er: „Danke Rollermädchen, dass Du hier bist!“ Das Rollermädchen atmet erleichtert auf, jetzt weiß sie, dass es nicht bei dieser letzten Zigarette bleiben würde. Der Zug hat sich mittlerweile in Bewegung gesetzt – draußen rasen Landschaften vorbei – die Sonne geht unter und das Rollermädchen und ihr Schweizer fahren gen Süden.

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